"Während die Deutschen mit der Reichsgründung (1871) der Welt zu verstehen gegeben hatten, dass mit der Einheit nun ein alternativloser Weg zu seinem glücklichen Ende gekommen sei, hatte Frankreich seine dominierende politische Stellung in Europa und den Glauben an sich selbst verloren. Versailles galt fortan als Ort der französischen Demütigung und entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zum Kristallisationspunkt für die deutsch-französische "Erbfeindschaft", Die weitere Waffengänge unausweichlich zu machen schien.
Heute wird der Deutsch-Französische Krieg oftmals als "vergessener Konflikt" bezeichnet, dominieren die Erinnerung in Deutschland und Frankreich doch die Kriege des 20. Jahrhunderts. Nichtsdestotrotz finden sich in beiden Ländern zahlreiche Spuren dieses ersten industriellen Krieges, Zur Auflösung der Fußnote[2] in Frankreich mehr als in Deutschland. Die großen Schlachten fanden auf französischem Territorium statt; die Mehrzahl der rund 139.000 getöteten französischen Soldaten und viele der 50.000 ums Leben gekommenen deutschen Leidensgenossen ruhen auf Friedhöfen westlich des Rheins. Hinzu kamen über 500.000 französische Kriegsgefangene, von denen 18.000 in deutschen Lagern starben. Die Menschen im französischen Territorium nördlich der Loire bekamen die Härten eines Besatzungsregimes zu spüren. Als Faustpfand für die Erfüllung der Reparationszahlungen blieben Departements im Norden und Osten Frankreichs auch nach dem Frieden von Frankfurt (10. Mai 1871) besetzt; die letzten deutschen Truppen zogen erst im September 1873 ab.
Der Deutsch-Französische Krieg wird auch als dritter Einigungskrieg bezeichnet, weil an seinem Ende die Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Spiegelsaal von Versailles stattfand. Dieses Ziel verfolgte der preußische Kanzler und konnte es 1871 schließlich erreichen, nachdem man Frankreich besiegt hatte. Dem Ausbruch des Krieges, der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, ging eine inszenierte Provokation durch Bismarck gegenüber Frankreich voraus ("Emser Depesche"). Das hatte Bismarck erreichen wollen.
"Betrachtet man die Verbindung Hannovers zum Kriegsgeschehen, so kristallisieren sich vier Schwerpunkte heraus.
- Die Stadt war Sitz des Generalkommandos des X. Armeekorps und eine wichtige Garnison, deren Soldaten sofort für den Krieg mobilisiert wurden.
- Darüber hinaus war Hannover ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, zumal in einem Konflikt, in dem erstmals die Eisenbahn eine entscheidende Rolle spielte.
- Hannover war aber auch Lazarettstadt und nicht zuletzt
- Hauptstadt einer preußischen Provinz, die noch wenige Jahre zuvor das Königreich Hannover gewesen war. Die preußische Annexion 1866 war in weiten Teilen der Bevölkerung noch lange nicht vergessen."
Vor 150 Jahren begann der Deutsch-Französische Krieg:
Historiker Klaus-Jürgen Bremm über den deutschen Triumph, Frankreichs Niedergang und die Flucht in die Kolonialpolitik.
Herr Dr. Bremm, vor 150 Jahren, am 19. Juli 1870, begann der deutsch-französische Krieg, der heute fast vergessen ist. Nur ein paar verwitterte Denkmale und ein paar Sedanstraßen, benannt nach dem Ort der französischen Niederlage, erinnern noch daran. Ist der Krieg von 1870/71 nicht längst ein abseitiges Thema, das höchstens für Fachhistoriker interessant ist?
Wir leben teils bis heute mit den Folgen dieses letzten für Deutschland siegreichen Krieges. An seinem Ende stand die deutsche Reichsgründung, und damals war es keinesfalls selbstverständlich, dass Bayern und Württemberg dabei sein würden. Die Grande Nation Frankreich, bis dahin eine politische und kulturelle Weltmacht, trat durch die überraschende und totale Niederlage in die zweite Reihe der Mächte Europas. Die Franzosen mussten diesen Platz den bis 1870 eher belächelten Deutschen überlassen, im Grunde bis heute.
Glorifizierung des Krieges: In der Königstraße erinnerte das 1884 aufgestellte Kriegerdenkmal bis in den Zweiten Weltkrieg hinein an den Sieg über Frankreich.
Quelle: Hist. Museum Hannover
Aber Frankreich zählte später in den beiden Weltkriegen doch zu den Siegern über Deutschland.
Den Ersten Weltkrieg gewann Frankreich nur mithilfe der halben Welt, und 1945 kam Frankreich eher gnadenhalber in den Kreis der Siegermächte. Zwar gibt es bis heute in Paris zum Nationalfeiertag am 14. Juli noch große Paraden, aber seine Vormachtstellung hat Frankreich vor 150 Jahren eingebüßt. Um 1900 war Deutschland ein Tigerstaat, in Wirtschaft und Technik hatte es Frankreich ebenso überholt wie im Bildungssystem.
„Unter Schlafenden und Toten“: Eine Illustration aus der Gartenlaube zeigte 1870 eine Szene aus dem deutsch-französischen Krieg.
Quelle: Hist. Museum Hannover
Das erste Millionenheer
Militärisch brachte der Krieg von 1870/71 mehrere Neuerungen …
Eisenbahn und Telegrafie brachten Front und Heimat näher zusammen, die Zivilbevölkerung war – etwa beim deutschen Terrorbombardement auf Paris – weit stärker vom Krieg betroffen als in vielen bisherigen Konflikten. In Preußen gab es damals die Wehrpflicht, die Deutschen konnten so das erste Millionenheer der Geschichte ins Feld führen. Die Franzosen versuchten, dieses Modell noch eilig zu kopieren, indem sie „Gambetta-Armeen“ aufstellten, benannt nach dem Innen- und Kriegsminister Léon Gambetta. Generalfeldmarschall Moltke sprach despektierlich von einem „Volkskrieg“. In jedem Fall trat die Wehrpflicht nach 1871 einen weltweiten Siegeszug an.
Deutschland annektierte 1871 Elsaß-Lothringen. Der Schriftsteller und Politiker Victor Hugo rief in einem flammenden Plädoyer zur Rache dafür auf. Lag im deutschen Sieg nicht eine Wurzel der sogenannten Erbfeindschaft zwischen beiden Ländern?
Diese viel zitierte Erbfeindschaft war gar nicht so ausgeprägt. Der Franzosenhass vieler Deutscher hatte sich vor allem auf Napoleon gerichtet und war im Laufe des 19. Jahrhunderts eher abgekühlt. Victor Hugo erntete für seine Rede in Frankreich viel Widerspruch. Das deutsch-französische Verhältnis war nach 1871 lange zwar angespannt, aber stabil. Die Rückgewinnung von Elsaß-Lothringen stand für Frankreich jedenfalls nicht auf der Tagesordnung.
Folgen des Krieges: Verwundete Soldaten und Diakonissen des Henriettenstifts im Reservelazarett Welfenschloss in Hannover.
Quelle: Hist. Museum Hannover
Kolonialismus gestärkt
Historiker wie Hans Ulrich Wehler sagten, vom deutsche Diktatfrieden 1871 mit den Gebietsverlusten Frankreichs führe eine direkte Linie in den Ersten und Zweiten Weltkrieg …
Das sehe ich nicht so. Die gekränkte Nation Frankreich versuchte, diesen Verlust durch den Aufbau ihres Kolonialreiches gewissermaßen zu kompensieren. In der sich anbahnenden Globalisierung wollten die Franzosen so ihren Großmachtstatus zurückgewinnen und auf Kosten Afrikas die eigene Marginalisierung in Europa wettmachen. Bismarck sah das mit Wohlwollen, er hatte für Deutschland ja keine großen kolonialen Ambitionen. Später jedoch drängten großbürgerliche Kreise in Deutschland auf eine stärkere Kolonialpolitik. Dies verschärfte dann auch die Spannungen mit Frankreich. Der Krieg von 1870/71 befeuerte indirekt also den Kolonialismus – dessen Folgen belasten das Verhältnis zwischen den ehemaligen Kolonialmächten Europas und den afrikanischen Staaten bis heute."
Von Simon Benne
"So bejubelte Hannover 1871 den Sieg über Frankreich"
Vor 150 Jahren besiegten deutsche Truppen Frankreich, das Kaiserreich entstand. Eine Online-Ausstellung des Historischen Museums zeigt, wie groß 1871 der Jubel auch in Hannover war. HAZ 16.01.2021
"Hannover. Die Gastwirtsfrau war ganz aus dem Häuschen: „Friede, Friede, alles jubelt“, schrieb Johanna Schneemann 1871 aus Hannover in einem Brief an ihren Onkel und ihre Tante, „Gott sei gelobt, daß wir so weit sind.“ Deutsche Soldaten hatten gerade im Krieg über Frankreich gesiegt. Nun könne man voll „ungetheilter Freude der Rückkehr der Truppen entgegen sehn“, schrieb die Wirtsfrau. Stolz lud sie ihre Verwandten zu den anstehenden Siegesfeiern ein: „Solch ein Fest werden wir, so Gott will, nie wieder erleben. Der Festzug wird prachtvoll werden.“
Monumentales Kriegsgedenken: Zwölf Meter hoch war die Germania, die an der Eilenriede an den Sieg von 1870/71 erinnerte. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bronzefiguren eingeschmolzen.Quelle: Historisches Museum Hannover
Mit patriotischen Hochgefühlen reagierten viele Deutsche vor 150 Jahren auf den Sieg über Frankreich. Auch als Produkt dieses deutsch-französischen Krieges entstand Anfang 1871 unter Federführung Bismarcks das deutsche Kaiserreich. [...] Schon die Wahl dieses Ortes demütigte Frankreich und zementierte die langjährige Erbfeindschaft der Nationen.
Verwundete im Welfenschloss: „Das Lazareth in Hannover“, Zeitungsdruck aus dem Jahr 1870.Quelle: Hist. Museum Hannover
Reservelazarett Welfenschloss: Hier wurden 1870/71 Verwundete gepflegt.Quelle: Hist. Museum Hannover
Mit historischen Fotos und Aufnahmen von Exponaten hält das Museum dabei Rückschau auf den Krieg und die Reichsgründung vor 150 Jahren. Alte Aufnahmen und Texte sind klug miteinander verknüpft. Kritisch kommentieren die Kuratoren die teils inszenierten Aufnahmen. Die mediale Distanz wird durch den konsequenten lokalen Fokus wieder aufgehoben. Gut, dass die Fotografie rechtzeitig genug erfunden war, um so starke Bilder zu liefern, dass man die Aura von Originalen bei diesem reinen Online-Projekt gar nicht vermisst. Das derzeit geschlossene Historische Museum hat ohnehin vergleichsweise wenige Stücke in seinem Fundus, die den damaligen Siegesstolz dokumentieren. Womöglich war der Enthusiasmus im früheren Königreich Hannover, das keine fünf Jahre zuvor selbst von Preußen annektiert worden war, weniger ausgeprägt als anderswo im neuen Kaiserreich – aus Verbundenheit mit den geschassten Welfen mieden hier viele die patriotischen Feiern am Ende des Krieges.
[...]
Dabei hatte es auch in Hannover nationale Aufwallungen gegeben. Den Kampf gegen die Franzosen empfanden viele als gerechten Verteidigungskrieg, der unverhoffte Sieg bei Sedan weckte Triumphgefühle. Die „Neue Hannoversche Zeitung“ berichtet, wie ein Landrat am 15. Juli 1870 im Vergnügungslokal „Tivoli“ Besuchern den Kriegsbeginn verkündete: „Sofort erhob sich ein tausendstimmiger Jubelruf, viermal mußte die Capelle die Nationalhymne spielen.“ [...] Die Menge zog spontan zum Café Robby, dem späteren Café Kröpcke, und weiter zum Leineschloss, wo Oberpräsident Graf Stolberg eine „kurze, echt deutsche Ansprache“ hielt.
Leiden in den Lazaretten Hannover war, wie die Online-Ausstellung zeigt, als Garnisonsstadt von dem Krieg besonders betroffen. Die Stadt war auch als Verkehrsknotenpunkt wichtig, zumal die Eisenbahn in diesem Krieg eine zentrale strategische Rolle spielte. Und Hannover war Lazarettstadt. Schon kurz nach Kriegsbeginn wurden hier zur Versorgung von Verwundeten mehrere Reservelazarette eingerichtet, in denen adelige oder gutbürgerliche Damen als Helferinnen ein neues Betätigungsfeld entdeckten.
„Solimann und Wärter“: Das Foto, entstanden 1870/71 im Lazarett im Welfenschloss, zeigt einen offenbar versehrten Soldaten der französischen Kolonialtruppen mit einem deutschen Pfleger.Quelle: Hist. Museum Hannover
Die Verletzten brachten etwas von den realen Schrecken des Krieges in die Heimat. In einer Offenheit, die in späteren Kriegen fraglos der Zensur zum Opfer gefallen wäre, schilderte die „Neue Hannoversche Zeitung“ 1870, wie Verwundete vom Hauptbahnhof zum Lazarett gebracht wurden: „Ernst und schweigend schritt der Zug der Leichtverwundeten den beiden Fuhrwerken (Droschke und Möbelwagen) voraus, worin die Schwerverwundeten in sitzender oder liegender Stellung befördert wurden. Theilnahmslos blickten sie auf die Menge, an der ihr Weg vorüberführte, mit fast lautloser Stimme beantworteten sie die an sie gerichteten Fragen. Schleppend war der Gang des Einen, ein Anderer hinkte, der hatte den Kopf umwickelt und der trug den Arm in einer von Eiter durchfeuchteten Binde.“
Die heutige Leibniz-Uni diente im Krieg 1870/71 als Lazarett.Quelle: Hist. Museum Hannover
Trotz aller Opfer verklärten die Deutschen den Sieg und die Reichsgründung bald zum nationalen Triumph. In Hannover weihte Oberpräsident Rudolf von Bennigsen 1884 ein zwölf Meter hohes Denkmal am Ende der Königstraße ein: Am Rande der Eilenriede schwenkte eine monumentale Germania eine Siegespalme, zwei Göttinen setzten ihr die Kaiserkrone auf. Auf Bronzetafeln am Sockel standen die Namen aller rund 1900 Gefallenen aus der Provinz Hannover. Von dem Denkmal ist nichts geblieben: Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bronzefiguren eingeschmolzen. Die Verklärung des Krieges diente so in unfreiwilliger Symbolik dem realen Krieg.
Von Simon Benne
Heinrich Henstorf
"Folgende Bissendorfer Soldaten nahmen am Kriege gegen Frankreich im Jahre 1870/71 teil:
1. Bartels, Wilhelm, Sohn des Klempners Bartels; er erhielt das Eiserne Kreuz; 2. Baumgarten, Ernst, Landwirtschaftsgehilfe; er wurde in der Schlacht bei Saarbrücken verwundet; 3. Bormann, Heinrich, Landwirt; Hausnummer 62; 4. Dangers, Heinrich, Landwirt; Hausnummer 5; 5. Grünwaldm Heinrich, Tischler, später Zugfahrer in Hannover; Hausnummer 19; 6. Hackerott, August, Landwirt; er machte den berühmten Reiterangriff bei Mars-la-Tour mit; Hausnummer 38; 7. Mohlfeld, August, Landwirt, 3. Garde-Ulanenregiment; Hausnummer 69; 8. Ohlhorst, Fritz Franz; Hausnummer 19; Landwirt; 9. Wöhler, Heinrich, Schmiedemeister; Hausnummer 65; 10. Rieckenberg, Heinrich, Landwirt; Hausnummer 27; 11. Schneehage, Fritz, Landwirt; Hausnummer 41; 12. Wöhler, Georg, Landwirt; Hausnummer 30; 13. Schrader, Heinrich, Landwirtschaftsgehilfe; 14. Sievers, Heinrich, Schneider; Hausnummer 3."
Quelle: Henstorf, Heinrich, a,a.O., S.
Gedenkstein an der Bissendorfer Kirche
Inschrift: „Zum Friedensfeste und den 30 Kriegern hiesigen Kirchspiels am 9. März 1871“
Heinrich Henstorf:
"Das Denkmal sollte, um es vor Beschädigungen zu schützen, eine Einfriedigung erhalten. Die Gemeindekasse verfügte nicht über die nötigen Mittel. Da wandte sich das Komitee mit seinem Gesuch um Bewilligung einer Beihilfe an Kaiser Wilhelm 1. Das Gesuch ging von Berlin an den Amtshauptmann Neupert in Burgwedel zu Berichterstattung. Dieser befür- wortete es, bemerkte aber, daß 25 Taler genügen würden. Die Antragsteller hatten nämlich um 100 Taler gebeten. Darauf bewilligte der Kaiser durch Reskript vom 22. Januar 1872 eine Beihilfe von 25 Talern. (Aus den Akten des Amtes Burgwedel im Staatsarchiv in Han- nover.)"
Quelle: Henstorf, Heinrich, a.a.O., S. 30
Bild der Reichsgründung 1871 Im Spiegelsaal von Schloss Versailles
Unten der Ausschnitt aus der Widmung auf dem Bilderrahmen.
"Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. am 18. Januar 1871 zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles. Die dritte Version fertiggestellt am 22. März 1877 zum 80. Geburtstag Kaiser Wilhelms I. Gemälde von Anton von Werner im Auftrag der preußischen Königsfamilie. [...} Bismarcks weiße Kleidung entspricht nicht der Realität, sollte aber seine Position herausheben. Die beiden früheren Versionen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das Gemälde befindet sich im Bismarck-Museum in Friedrichsruh."