Kleinburgwedel gehört zwar nicht zur (späteren) Wedemark, grenzt aber im Bereich Bissendorf-Wietze unmittelbar daran. "Im Heidewinkel" ist ein etwas abgelegener Ortsteil von Kleinburgwedel in Richtung Fuhrberg.
Der folgende Textauszug aus den
Erinnerungen von Michael Nagel aus Kleinburgwedel, "Sechsmal Deutschland - Von einem, der auszog, die Wahrheit zu lernen", Kleinburgwedel 2010,
enthält nur den Teil, der sich unmittelbar mit dem Kriegsende 1945 in Burgwedel beschäftigt.
Ihn aufzunehmen in unsere Homepage ist gerechtfertigt durch die nachbarschaftliche Lage der Gemeinden, die 1945 auch durch den Tod von Otto Knibbe und Hans Rieche überschritten wurden, aber vor allem durch die Tatsache, dass uns aus der Wedemark kein vergleichbarer Erfahrungsbericht vorliegt!
Zur Person von Michael Nagel:
Er ist Elektroingenieur und Lehrbuchautor, über 90 Jahre alt und lebt in Berlin.
KZ-Häftlinge auf dem Todesmarsch nach Bergen-Belsen
"[…]
DIE LETZTEN Kriegstage im Heidewinkel waren von großen Spannungen und bitteren Begebenheiten begleitet. Vom Anwesen der Eltern, östlich der Fuhrberger Landstrasse gegenüber dem westlich gelegenen Würmsee, dass sich seit Ende der 30er Jahre deutlich vergrößert hatte, konnte der Verkehr auf der langen Birkenchaussee nach Fuhrberg gut eingesehen werden. Noch standen die hohen Bäume nicht voll im grünen Ornat des beginnenden Frühjahrs 1945. Tags darauf zogen in endlosen Kolonnen sich schleppende Gestalten auf der Chaussee gen Norden. Michael war neugierig zur schnurgeraden Landstrasse geeilt und sah unvermutet ein entsetzliches Bild des Jam merns und des Gotterbarmens. Ausgemergelte KZ-Häftlinge in gestreifter Kleidung, mit runden, blaugestreiften Mützen, wurden von blutjungen SS-Männern in einem kilometerlangen Todesmarsch Richtung Burgdorf- Celle, und wie er später hörte, ins KZ-Lager Bergen-Belsen getrieben. Für die geschundenen Kreaturen gab es weder Essen noch Trinken. Die Frühlingssonne brannte unbarmherzig auf die abgemagerten und kraftlosen Menschen herab. Viele wurden von anderen Häftlingen gestützt, teils mitgeschleift. Jeder Bedauernswerte der vom Brackwasser des Chausseegrabens versuchte seinen Durst zu stillen, oder nicht mehr weiter konnte und erschöpft am Straßenrand liegen blieb, wurde durch Genickschuss erledigt. So die bedauernswerten Menschen nach dem langen Vorbeimarsch an der weißen Birkenchaussee wie zu einer Todeskette hingestreckt lagen. Alles wenige Tage vor ihrer Befreiung! Während sich der mühsam dahin schleppende Zug langsam in der Ferne Michas traurigen Augen entschwand. Statt sie trinken und lebend liegen gelassen zu haben, knallten die Schergen die Erbarmungswürdigen vor der sehnsüchtig erhofften Freiheit einfach wie räudige Hunde ab. Bis durch das grausame Töten im Raum Fuhrberg der SS-Mannschaft die Munition ausging und die schwarzen Mordgesellen sich feige in die Büsche schlugen, unerkannt in Gefangenschaft zu gelangen. So viele Häftlinge auf makabere Weise durch Ermordung ihrer Kameraden unerwartet das Geschenk der Freiheit erhielten. Dadurch warten die Fuhrberger Wälder plötzlich voller Werwölfe, versprengter und desertierter Soldaten, SS-Wachmänner und geflohener KZ-Häftlinge, die sich alle voreinander fürchteten. Auch Michas Familie bekam in der Einöde plötzlich große Angst um ihre Sicherheit. Hatte doch der brutale Krieg, mit der grausamen Auslöschung von Millionen Menschen, überall die Sitten verroht, dass es für den Einzelnen in letzter Sekunde nur noch eins gab, zu überleben, egal ob ein anderer dafür drauf ging.
EINES TAGES tauchten bei den Eltern zwei abgemagerte KZ-Häftlinge auf, die ihr trauriges Schicksal auf dem von Micha gesehenen Todesmarsch erzählten. Sie hatten sich nach der Flucht notdürftig mit Sachen toter Wehrmachtssoldaten bekleidet und baten um Essen, Trinken und neue Garderobe. Dann kamen zwei Soldaten der Wehrmacht, die sich nach dem Weg Richtung Hannover-Bothfeld erkundigten, wo einer wohnte. Auch sie baten um Brot und hinterließen dem Stiefvater einen Karabiner. Das Schießeisen warf er aber bleich vor blanker Angst in einen Tümpel, der nach vier Jahren ausgetrocknet die längst entschwundene Furcht als verrostete Vergangenheit des Krieges wieder auftauchen ließ. Es war eine schreckliche Zeit tödlicher Gefahr geworden. In der Endphase des Krieges bestand beim Begegnen mit Fremden in der Einöde von Heidewinkel ein hohes Risiko. Besonders wenn man Bedrängten in schwieriger Situation half. Was von Fanatikern als Wehrkraft-zersetzung oder Zusammenarbeit mit dem Feind bezeichnet wurde und das eigene Leben kosten konnte. SS-Offiziere, mit daraus entstandenen Wehrwölfen, geisterten halbzivil in Bridgeshosen und Stiefeln in den Wäldern herum. Machten mit jedem Verdächtigen, den sie in ihre Todesklauen bekamen, kurzen Prozess. Obwohl sie es vom Intellekt eigentlich hätten wissen müssen, wie sinnlos ihr Tun war, wurde im Führerwahn und aus Angst vor Rache über ihre Verbrechen bis zuletzt gemordet.
WIE SOLCHE Mörder im Namen der Tyrannei mit Menschen umgingen, hatte er mit der Mutter noch kurz vor Kriegsende an der Weidendammer Brücke in Hannover gesehen. [...]"
Zum Weiterlesen bitte Datei anklicken:
kriegsende_1945-kleinburgwedel-auszug-nagel-michael-081121.pdf | |
File Size: | 241 kb |
File Type: |