Mellendorf - Tote bei Bücherverbrennung am 25. Mai 1945
Die Zielsetzung der Alliierten bestand im zweiten Weltkrieg nicht nur in der militärischen Niederlage Deutschlands, sondern sie verfolgten eine umfassende Neuordnung Europas, die verschiedene Konferenzen noch während des Krieges vorbereiten sollten, z.B. die Konferenz von Teheran 1943. Die Neuordnung beinhaltete auch einen "Regime-Change" in Deutschland und die Ausrottung der Nazi-Ideologie. Das war offenbar der Hintergrund für die Hausdurchsuchung durch die englische Besatzungsmacht in Mellendorf nach dem 22. Mai 1945. Man suchte u.a. auch Nazi-Literatur, die öffentlich verbrannt werden sollte. Sie wird geschildert in dem "Mellendorfer Kriegstagebuch", 1942 - 1949, das der Lehrer Ewald Niedermeyer führte. In dem Auszug hier wird nur dieses Ereignis dargestellt.
Der Sohn gab dieses Tagebuch 1995 heraus und er schreibt u.a. über seinen Vater:
"... Geprägt durch eine christliche und patriotische Erziehung in Elternhaus und Schule war er von einer tiefen Heimat und Vaterlandsliebe beseelt. Für ihn war "Deutschsein" das Größte und Höchste. Es war für ihn unvorstellbar, daß im deutschen Namen irgend etwas Unrechtes geschehen konnte.
Nach abgeschlossener Lehrerausbildung nahm er als Soldat am 1. Weltkrieg teil, in dem er auch mit dem EK II ausgezeichnet wurde. Den Friedensvertrag von Versailles empfand er, wie viele andere, als Demütigung für das deutsche Volk und glaubte deshalb 1933 auch den Versprechungen der Nationalsozialisten. ... So trat er 1933 der NSDAP bei und übernahm auch hier einige Ehrenämter. In Haimar war er der Beauftragte für das WHW (Winterhilfswerk) und für die NSV (Nat. Soz. Volkswohlfahrt), in Mellendorf Kassenwart der Ortsgruppe. ...
Bis zum Schluß wollte er noch an das Gute im Nationalsozialismus glauben. Der totale Zusammen-bruch und die Aufdeckung der Nazigreueltaten, die er nie für möglich gehalten hatte, waren die größte Enttäuschung seines Lebens. ..."
Quelle: Henfried Niedermeyer, Vorwort (Auszug), Wedemark 1995, S. 62/63
(Titelfoto: Stuckesche Kreuzung in Mellendorf, von Osten aus gesehen, heute Kreuzung Wedemarkstraße/Hellendorfer Kirchweg)
Ewald Niedermeyer:
20. 5. 1945 P f i n g s t s o n n t a g.
Bei sonnigen, allerdings windigem Wetter begehen wir das Pfingstfest. Die Natur ist schon sehr weit. Die Blätter sind voll entfaltet, und es ist eine Pracht draußen. Nach dem Gewitterregen stehen die Früchte in Garten und Feld gut. Durch den verlorenen Krieg kann kein Frohsinn in deutschen Familien aufkommen. Was mag die Zukunft bringen, wie wird es unseren Gefangenen ergehen? Wir sind jetzt unseren Gegnern so ausgeliefert, wie es wohl noch kein Volk auf dieser Erde in den letzten Jahrhunderten erlebt hat. Jeden Tag neue Beschimpfungen, Verleumdungen, Bedrückungen, Erpressungen und Demütigungen! Was soll noch einmal werden, wenn solch eine Drachensaat täglich ausgestreut wird. Es kann ja nur ein Haßfriede kommen, der Versailles noch in den Schatten stellen wird. Das deutsche Volk muß alles über sich ergehen lassen. Im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit wollen sie alles, was deutsch ist, ausrotten. Welch ein verfluchtes Schicksal liegt doch auf unserem Volk! Zu Mittag gab es neue Aufregung im Dorf. Englische Quartiermacher suchten Unterkunft für 200 Mann, die zurückgeführt werden. 6 Häuser (Banse, Stucke, Hanebuth, Kolshorn, Balke und Heipe) mußten geräumt werden bis 18 Uhr. Bei Stucke und Balke durfte nur der Pole wohnen bleiben. Bei Heipe war niemand zu Haus gewesen, da hatten sie an die Tür geschrieben, daß das Haus bis 18 Uhr geräumt sein müsse. Bei Stucke im Saal wollen sie essen. Der Saal mußte erst gesäubert werden. Dazu wurden die polit. Leiter herangezogen: Walter, Schulze, Voltmer, Satzger, Dr. Meyer-Ibold usw. , im ganzen 15 Mann. Das Stroh wurde verbrannt. - Wenn die Soldaten bis 22 Uhr nicht eintreffen, können die Leute noch zu Hause schlafen.
22. 5. 1945 Am 2. Pfingsttag mittags kamen die Soldaten. Heute werden im Dorfe Haussuchungen abgehalten. Bei uns fuhren sie mit einem kleinen Panzer vor und 5 Mann durchsuchten unser Haus über ½ Stunde lang nach Waffen, Photoapparaten und Nazibüchern. Die unten suchten, waren sehr großzügig: sie fanden nichts. Nicht einmal in den Schulschrank sahen sie. Die 3 die nach oben gingen, suchten gründlich und nahmen von Heinfrieds Kammer alle Soldatenpostkarten und 2 Kartons Bücher mit, die sie verbrennen wollten. Für die 2. Schule ließen sie die Schrankschlüssel holen. Da Frl. Ridder nicht da war, erbrachen sie die Schränke, fanden aber nichts. - Gestern wurden die für unsere gefangenen Soldaten eingesammelten Gaben nach Hannover gebracht.
24. 5. 1945 Die meisten Haushaltungen sind wohl durchsucht. Der Gemeindediener sagte an, daß alle Nazibücher abgegeben werden müssen und daß um 19 Uhr alle Einwohner bei Stucke erscheinen sollten. Um 19 Uhr waren viele Leute auf der Straße zwischen Stucke und Jugendheim. Mitten auf der Kreuzung lag ein Haufen Bücher. Die Menschen mußten dicht herantreten. Ein englischer Offizier sprach, und ein Dolmetscher übersetzte es ins Deutsche. Er sagte, daß sie Belsen gesehen hätten, und daß die Amerikaner, Engländer und Russen Deutschland besetzt hätten, damit so etwas nicht wieder vorkommen könnte. Dann mußten die Menschen zu- rücktreten. Mit einem Flammenwerfer sollten die Bücher angezündet werden. (Das war ausdrücklicher Befehl, um den Deutschen die Machtmittel der Besatzungstruppe zu zeigen). Als der Feuerstrahl aus dem Flammenwerfer kam, hörte man auch schon ein Aufschreien. Der Werfer war zu hoch eingestellt, und so ging der Feuerstrahl auf die Menschen, die an Bertrams Gartenzaun standen und schwenkte dann nach links zum Jugendheim ab, ehe er abgestellt wurde. Die Menschen die da standen, brannten bei lebendigem Leibe und erlitten zum Teil furcht- bare Brandwunden. Das Rote Kreuz leistete die erste Hilfe. Auch die Engländer kamen mit ihren Autos und bemühten sich um die Verletzten. Die Aufregung war ja ungeheuer, auch die Engländer schienen sehr bedrückt. Der Bürgermeister Bruns sprach dann noch, daß der englische Hauptmann sein Bedauern ausspräche, es wäre keine Absicht gewesen. Es solle alles geschehen, um den Verletzten zu helfen. Das war ja ein furchtbares Erlebnis nach dieser Strafrede des Engländers. Das hätte uns Deutschen passieren sollen, dann wäre es gleich in alle Welt hinausposaunt, so wird es wohl niemand zu wissen kriegen. Es ist einfach unverantwortlich und auch unverzeihlich, einen Flammenwerfer mitten im Dorf bei einer solchen Menschenansammlung einzusetzen. Die Verbrannten wurden dann nach Hannover ins Krankenhaus I gefahren. Frl. Ridder und Frau Zastrow fuhren mit. Es waren: 1. Herr Gropp, 2. und Tochter, 3. Frau Clara Voltmer, 4. Frau Rode, 5. Frau Raffel, 6. Frau Witte, 7. Fau Tews, 8. Frau Lisbeth Tiedge geb. Hogrefe, 9. Frau Weber. Frau Witte ist gleich wieder mit zurückgekommen. Frau Tiedge und Frau Weber sind hiergeblieben. Herr Gropp ist schon beim Einladen gestorben.
25. 5. 1945 Im Dorf konnte man folgende Bekanntmachung lesen:
Der englische Kommandant spricht sein Bedauern über den am gestrigen Abend stattgefundenen Unglücksfall aus. Er betont besonders, daß es keinesfalls aus Vorsatz geschehen ist, sondern lediglich ein tragisches Verhängnis war. Der Bürgermeister."
(Auszug: S. 62-63)
Anmerkung zur Bücherverbrennung - Bedeutung und Ort
Eine Bücherverbrennung ist eine demonstrative Zerstörung. Sie hat eine lange historische Tradition und ist vor allem auch eine symbolische Handlung. Hier sollte sie die Vernichtung nationalsozialistischen Gedankenguts dokumentierern. Die Wahl des Verbrennungsortes ist vermutlich genau gewählt: Denn die Stuckesche Kreuzung ist die wichtigste Nord-Süd- und Ost-West-Straßenverbindung in Mellendorf und - vermutlich noch wichtiger - war der Platz vor dem Treffpunkt der NSDAP-Ortsgruppe Mellendorf! Inschrift auf dem Foto von Ewald Niedermeyer (Kriegstagebuch): "Parteilokal der NSDAP / Ortsgruppe Mellendorf"
Grabsteine auf dem Mellendorfer Friedhof: Die hintere Reihe hat nichts mit dem Brandunfall zu tun. Das Holzkreuz hinten links erinnert an die russische Zwangsarbeiterin Maria Kulibaba, die am 31. März 1943 starb. Sie war 24 Jahre alt und musste im Emaillierwerk arbeiten. (Fotos: Reiner Linnemüller)
Zur Grabinschrift:
Frieda Tews, gest. 26.5.1945
Walter Kropp, gest. 24.5.1945 Bertha Kropp, gest. 3.6.1945
Anm.: Niedermeyer schreibt "Gropp" statt "Kropp". Laut Inschrift ist Walter Kropps Tochter knapp zwei Wochen nach ihm gestorben.
Die weiteren Todesopfer, Frau Voltmer und Frau Raffel, wurden in ihren Heimatorten bestattet.