Von 1943 an waren es vor allem Ausgebombte aus Hannover, die in der Wedemark für einen Anstieg der Bevölkerungszahl sorgten. Sie wurden bei der Wedemärker Bevölkerung dort zwangseingewiesen, wo noch Ersatzwohnraum geschaffen werden konnte. Ab 1944 verschärfte sich die Wohn- und Lebenssituation noch, weil nun deutsche Flüchtlinge aus dem Osten hinzukamen, die vor der näherrückenden Front flohen. Im Folgenden finden wir einen Bericht über die Situation in Bissendorf:
"Die Vertreibung und Einbürgerung der Ostdeutschen von Hans Klipphahn
Im Herbst 1944 näherten sich die russischen Kampfverbände den deutschen Ostgebieten. Vor den anrückenden Truppen wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich mit Pferd und Wagen nach Westen abzusetzen. Dabei konnte nur das Nötigste auf schnell hergerichteten Wagen, die mit einer Plane bespannt oder mit einem provisorischen Dach versehen waren, verstaut wurden. In Trecks ging es auf die lange Reise, auf völlig verstopften Straßen, oft unter Feindeinwirkung, gen Westen. Im Spätherbst trafen so die Familien Düstereif und Kremer aus dem Kreis Wilkowischken, Litauen, ein. Die Gemeinde Groß Rhodau hatte ca. 1.000 Einwohner und gehörte mit den zwei Gütern Klein Rhodau und Steinberg zum Kreis Rosenberg im Regierungsbezirk Marienwerder in Westpreußen. Hier sammelte sich am 21. Januar 1945 bei 20 Grad Kälte und hohem Schnee die Bevölkerung zu einem Treck mit 60 pferdegezogenen Wagen. Es begann ein beschwerlicher Weg bei grimmiger Kälte über die Weichsel bei Dirchau durch den Korridor nach Pommern. Hier ging es über Zesenow, Horst, Köslin, und Zarben zur Oder. Ende Februar konnte die Oder überquert werden. Kurz darauf wurde die Brücke gesprengt. Unter großen Entbehrungen wurde Schmölln am 1. März erreicht. Bei milderem Wetter ging der Treck durch die Uckermark und Ruppiner Heide nach Mecklenburg. Hier trennten sich einige Wagen ab, die in Richtung Bremen und nach Schleswig-Holstein zogen. Übernachtet wurde in Notquartieren oder teilweise im Planwagen. Weiter führte der mühevolle Weg über Pritzwalk, Karstädt nach Dömitz über die noch heile Elbbrücke. Von Dannenberg durch die Göhrde in die Lüneburger Heide führte der Weg nach Munsterlager. Weiter ging es über Müden durch Celle nach Adelheidsdorf. Hier erfuhren die Flüchtenden, dass das Endziel Bissendorf sein sollte. Nach der letzten Übernachtung in Oldhorst wurde am 30. März 1945 nach 9 Wochen Fahrt Bissendorf erreicht. Meist Frauen und Kinder sowie ältere Männer kamen erschöpft von den unmenschlichen Strapazen an und fanden im Ort, der schon vollgestopft mit Aus- gebombten und Vertriebenen war, eine bescheidene Unterkunft. [...] Inzwischen war der Frühling eingekehrt. Die Pferde konnten auf die Weide. Die Pferde wurden den heimischen Bauern überlassen, die hierfür in Naturalien bezahlten, da das Geld keinen Wert besaß. Unter ähnlichen Strapazen, teils mit anfänglicher Flucht auf Schiffen, Fischkuttern oder mit der Bahn, bedroht durch Luftangriffe der Amerikaner und der nachrückenden Russen, erreichten aus vielen Teilen der deutschen Ostgebiete viele Familien zum Teil getrennt oder auch einzelne Personen, zum Teil entlassene Soldaten, Bissendorf. Viele Familien waren getrennt und ließen Angehörige nach Bissendorf nachkommen. Andere zogen nach kurzem Aufenthalt zu ihren Verwandten oder Bekannten nach auswärts. Es entstand ein reger Wechsel. Einige fanden Arbeit in anderen Orten, vor allem im Bergbau im Ruhrgebiet. Männer kamen aus dem Krieg zurück zu ihren Familien oder holten ihre Familien zu sich. Auch durch Heiraten gab es Veränderungen. […] Durch diesen enormen Bevölkerungszuwachs herrschte äußerste Wohnungsnot. Jeder nur irgendwie brauchbare Raum wurde mit Leuten vollgestopft. Hierbei kam es natürlich auch in einzelnen Fällen zu Schwierigkeiten. Diese wurden aber glücklicherweise überbrückt. Die Not vereinigte die Menschen, die anspruchslos, wie sie waren, diese Not überstanden."
Quelle: Knibbe, Cord, Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit, Wedemark-Bissendorf 2013, S. 70-72
Fotos von Flüchtlingstrecks, die in der Wedemark endeten:
Gedenkstein der Wedemärker Geflüchteten von 1952 an der Bissendorfer Kirche mit den Namen ihren Herkunftsprovinzen.