In ländlichen Gebieten wie z.B. der Wedemark stößt man in der Lokalpresse manchmal auf Meldungen bezüglich von Realverbänden:
Sie führen eine von der Öffentlichkeit wenig beachtete Existenz, die allerdings eine lange historische Vorgeschichte haben.
"In Deutschland gab es noch Anfang des 19. Jahrhunderts vielfältigen Allgemeinbesitz und Nutzungsberechtigungen an landwirtschaftlichen Flächen. Das gemeinschaftliche Eigentum und die unterschiedlichen Nutzungsberechtigungen wurzelten im Lehnswesen und erschwerten eine intensivere Bewirtschaftung. Mit der Privatisierung wurden Produktivitätssteigerungen erzielt, die entsprechende Aufteilungsmaßnahmen in den deutschen Ländern gegen Ende des 18. Jahrhunderts auslösten. Von der Gemeinheitsteilung betroffen sind Grundstücke im gemeinschaftlichen Eigentum, die nach altem Herkommen zur Weide oder Hutung, zur Waldmast, Holz-, Streu-, Schilf-, Binsen- oder Rohrgewinnung, zum Grasschnitt, Plaggen-, Heide- oder Bültenhieb sowie zur Torfnutzung gemeinschaftlich genutzt werden. Bei den Nutzungsrechten handelt es sich im Einzelnen um Nutzungsberechtigungen zur Weide oder Hutung, zur Waldmast, Holz-, Streu-, Schilf-, Binsen- oder Rohrgewinnung, zum Grasschnitt, Plaggen-, Heide- oder Bültenhieb, zur Torfnutzung, zum Pflücken des Grases und des Unkrautes auf bestellten Feldern (zum Krauten), Nachrechen auf abgeernteten Feldern oder Stoppelharken, zur Nutzung fremder Äcker gegen Hergabe des Düngers, zum Fruchtgewinn von einzelnen Stücken fremder Äcker (Deputatbeete), zum Harzscharren. Durch unterschiedliche Gesetze über Ablösungen und Gemeinheitsteilungen[2] sollten im 18. und 19. Jahrhundert die Verpflichtungen (Feudalabgabe) der Bauern gegenüber den Grundherren allmählich aufgelöst werden (vgl. Bauernbefreiung, Preußische Reformen und Preußische Agrarverfassung).
Allgemeine Informationen der Gemeinde Wedemark (2023):
"Realverbände sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie setzen sich aus Vorstand und Mitgliederversammlung zusammen und sind in Niedersachsen landesrechtlich geregelt. Ihre Mitglieder - die Eigentümer*innen der Flurstücke im Realverbandsgebiet - verwalten und erledigen gemeinschaftliche Angelegenheiten innerhalb ihres Gebietes. Dazu gehören z.B. Instandsetzungen von Wirtschaftswegen, Forstarbeiten und Gewässerpflege. In der Gemeinde Wedemark existieren weit über 20 solcher Verbände im Bereich der verschiedenen Gemeindeteile. Sie sind überwiegend aktiv und unterstehen der Rechtsaufsicht der Gemeinde. Die Aufsicht beschränkt sich darauf, dass die Maßnahmen der Realverbände dem Gesetz und ihren Satzungen entsprechen. Um Rechtsverstöße der Verbände zu vermeiden oder zu beenden, muss die Gemeinde regelmäßig der Ausübung ihrer Aufsichtsbefugnisse nachkommen. Das tut sie z.B. durch Prüfung der ihr jährlich von den Realverbänden vorzulegenden Jahresrechnungen.Neben Eingriffsrechten stehen der Gemeinde auch Informationsrechte bezüglich der Aktivitäten der Verbände zu."
Historie Realverbände haben in aller Regel eine lange und teilweise Jahrhunderte alte Tradition. Die altrechtlichen land- und forstwirtschaftlichen Verbände sind lange vor den heutigen politischen Gemeinden entstanden. Ein Blick in die Historie zeigt die Geschichte der Realverbände im Wandel der Zeit und hilft, die bisherige Struktur des Realverbandsgesetzes zu verstehen. Die Bauern innerhalb eines Dorfes waren Träger der sogenannten Markgenossenschaften, die neben der Verwaltung und Nutzung der Allmende auch allgemeine Verwaltungsaufgaben in der Dorf-gemeinschaft übernahmen. Den ersten einschneidenden Wandel erfuhren die Markgenossenschaften im 19. Jahrhundert. Die Allmende wurde im Rahmen der zu dieser Zeit einsetzenden Teilung und Verkoppelung – der heutigen Flurbereinigung – aufgeteilt. Vor allem Wald und Weide wurden allerdings teilweise von dieser Teilung ausgenommen, sodass sich die alten Markgenossenschaften über die Teilung und Verkoppelung hinaus erhalten haben. Schon damals hatte man erkannt, dass vor allem Wald nur in entsprechend größeren Einheiten sinnvoll bewirtschaftet werden kann. Die Bauern hatten weiterhin ein gemeinschaftliches Nutzungsrecht an dem Wald oder einzelnen Weiden. Unübersichtliches Recht In den niedersächsischen Landesteilen wurde diesen Verbänden ein gesetzlicher Rahmen gegeben. So galt beispielsweise in Braunschweig das „Gesetz betreffend die ungeteilten Genossenschaftsforsten“ aus dem Jahr 1890, in Hannover das „Gesetz betreffend die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover“ aus dem Jahr 1888 und in den preußischen Landesteilen das „Gesetz über gemeinschaftliche Holzungen“ von 1881. Dieses alte, recht unübersichtliche Recht galt bis zum Inkrafttreten des Realverbandsgesetzes im Jahr 1969 fort. [...] Realverbände mit selbstständigen Verbandsanteilen werden häufig als Realgemeinden oder Forstgenossenschaften bezeichnet. Mit den Teilungs- und Verkoppelungsverfahren in der aufgeteilten Feldmark galt das gemeinschaftliche Interesse der Bauern der landwirtschaftlichen Infrastruktur, allen voran Wegen und Gräben; sie wurden zu gemeinschaftlichen Angelegenheiten erklärt. Es bildeten sich in den verschiedenen Landesteilen Verbände, in denen die Grundeigentümer eigenverantwortlich ihre Infrastruktur verwalteten. Mitglieder der Verbände waren alle Grundeigentümer einer Feldmark. Wie schon bei den Realgemeinden und Forstgenossenschaften galten auch hier bis zum Jahr 1969 die verschiedenen Landesgesetze fort, so beispielsweise in Hannover das „Gesetz betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten“ aus dem Jahr 1887 [...]. Viele Auflösungen Das hannoversche Recht war in vielen Punkten unzulänglich und für den Gesetzgeber Anlass, das zersplitterte Recht mit dem Realverbandsgesetz zu vereinheitlichen. Es gab den Verbänden einen organisatorischen Rahmen mit Mitgliederversammlung, Vorstand, Satzungsregelungen und der Aufsicht durch die Landkreise und kreisfreien Städte. Es sah verschiedene Möglichkeiten der Auflösung von Realverbänden vor, allen voran die Übertragung des Vermögens und der Aufgaben auf die politischen Gemeinden. Hiervon haben vor allem im Bereich Hannover in den 70er-Jahren viele Verbände Gebrauch gemacht. In Hannover wurde nach diesem Recht zumeist der Gemeindevorsteher zum besonderen Vertreter der Interessentenschaft bestellt, sodass die Leitung des Verbandes den Grundeigentümern aus der Hand genommen wurde. Es herrschte die Meinung vor, dass die Wege- und Gewässerunterhaltung bei den politischen Gemeinden besser aufgehoben war – und löste die Verbände auf.
Quelle: Jens Haarstrich, Landvolk Niedersachsen, 17. Januar 2013